Rostock: Die Suche nach dem Sündenbock

Rostock: Die Suche nach dem Sündenbock

Beim Spiel von Hansa Rostock kam es am Wochenende zu einem Vorfall, der sofort durch alle Schlagzeilen rauschte: Ein neunjähriger Junge wurde verletzt, nachdem im Stadion genehmigte Pyrotechnik gezündet wurde. Keine Frage – jedes verletzte Kind ist eines zu viel. Doch wie so oft, lohnt sich ein genauer Blick hinter die großen Lettern der Boulevardpresse.

Genehmigt und doch gefährlich?

Das Absurde: gerade bei einer der seltenen „offiziell erlaubten“ Pyro-Aktionen ist es passiert. Währenddessen erleben wir Saison für Saison unzählige spontane, selbstorganisierte Pyroshows in den Kurven – und Verletzte? Praktisch keine. Niemand hatte damit gerechnet, dass plötzlich Bauteile im Stadion selbst betroffen sein könnten – etwa, dass ein Flutlichtmast oder Teile des Dachs in Mitleidenschaft gezogen werden.

Nebenbei gesagt: Es ist vielleicht auch nicht die cleverste Idee, Pyrotechnik an Flutlichtmasten oder ähnlichen Konstruktionen anzubringen, auch wenn uns bewusst ist, dass es dafür einen besonderen Anlass gegeben hat, nämlich den Abschied von den altehrwürdigen Flutlichtmasten. Wer schon mal dabei war weiß: Näher am Geschehen, verantwortungsvoll gezündet, läuft es meist sicherer ab (und Elios-Fackeln besser nicht über den Köpfen anderer anhauen...).

Pyro als Teil der Fankultur

Für uns steht fest: Pyro gehört zur Kurve. Sie ist Ausdruck von Leidenschaft, von Energie, von Haltung. Rauch, Flammen, Farben – das ist Emotion pur, ein Bild, das jedes noch so sterile Marketing-Event des modernen Fußballs alt aussehen lässt. Natürlich geht es um Verantwortung. Aber Pyrotechnik grundsätzlich zu verteufeln, während gleichzeitig genehmigte Shows schiefgehen, zeigt nur eins: Das Problem liegt nicht bei der Kultur, sondern oft eher bei den Rahmenbedingungen.

Ein Blick zurück: Pyro in deutschen Stadion

Pyrotechnik ist kein neues Phänomen. Schon in den 80er- und 90er-Jahren fanden erste Bengalos ihren Weg in die deutschen Stadien – inspiriert von Südeuropa und Südamerika, wo Fackeln und Rauch seit jeher Teil der Fußballkultur sind. Mit der wachsenden Ultrabewegung in Deutschland ab den späten 90ern bekam Pyro dann eine feste Rolle: als optisches Highlight, als klares Statement gegen die Kommerzialisierung des Spiels, als Ausdruck von Leidenschaft. Während die Verbände zunehmend versuchten, mit pauschalen Verboten gegenzusteuern, professionalisierten die Fans ihre Abläufe – Abstände, Reihenfolgen, Choreografien. Das Ergebnis: ein hoher Grad an Eigenorganisation, der über Jahre gezeigt hat, dass Pyro verantwortungsvoll eingesetzt werden kann.

Hier: Der FC Schalke in den neunziger Jahren. Quelle: Turus.net

Wer trägt die Schuld?

Die einfache Lösung der Medien lautet schnell: „die Ultras“. Doch wer genauer hinschaut, erkennt: Fans organisieren seit Jahren Pyroaktionen mit Plan, mit Abständen, mit Blick auf Sicherheit. Dass ausgerechnet die genehmigten Abläufe daneben gehen, ist kein Zufall, sondern zeigt, dass Vorgaben und Stadionrealität nicht immer zusammenpassen. Für die Presse wiederum war der Vorfall ein gefundenes Fressen – Bilder von Rauch und Flammen verkaufen sich eben besser als differenzierte Berichte über den gelebten Alltag in den Kurven. Hier wäre mehr Dialog zwischen Fans und Verantwortlichen sinnvoll, statt starrer Regeln, die an der Praxis vorbeigehen.

Unser Fazit

Verletzungen sind bitter – keine Frage. Aber wer jetzt reflexartig nach härteren Strafen ruft, versteht weder die Kultur noch den Kontext. Pyro ist nicht das Problem. Der Umgang damit ist es. Solange die Verantwortlichen lieber Distanz wahren, statt auf die Erfahrung der Kurven zu setzen, wird sich daran nichts ändern.

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